„Ich lasse Dich nicht los, wenn Du mich nicht segnest.“ Genesis 32,27

Jakob ist unterwegs, um seinem Bruder Esau nach vielen Jahren wieder zu begegnen. Er fürchtet sich vor dieser Begegnung. Wie wird Esau reagieren? Wird er ihm freundlich entgegen eilen oder trägt er ihm den Betrug um das Erstgeburtsrecht, um das väterliche Erbe, immer noch nach? Jakob ist gut vorbereitet. Er hat seinen Besitz schon aufgeteilt und will Esau großzügig beschenken. Seine Familie schickt er schon einmal vor. Er selber bleibt zurück. Es wird Nacht. Unvermittelt findet sich Jakob in einem Kampf wieder. Mit wem er hier kämpft bleibt zunächst im Dunkel. Von einem Mann ist die Rede, aber wer ist dieser Mann? Ist es ein Mensch, der ihm hier an diesem Flussufer begegnet? Sind es seineeigenen Ängste, mit denen er ringt, mit denen er sich nun auseinandersetzen muss? Ist es ein Dämon oder ein Engel? Oder am Ende Gott selbst?
Jakob ist ein starker Gegner. Lange kämpft er mit dem Mann – bis der Morgen kommt. Doch das herannahende Tageslicht zwingt den Gegner zu gehen. Auf einmal hat er es eilig, er will fort. Er vermag Jakob nicht zu besiegen und so macht er ihn wenigstens kampfunfähig, verletzt ihn an seiner Hüfte. Aber noch immer ist Jakob stark und ringt mit seinem Gegenüber. „Lass mich los!“ Ein Satz gesprochen mitten im Kampf. Sollte Jakob nicht froh sein, wenn sei Gegner weggeht? Doch er hält ihn fest. Er hält an dem fest, der ihn verletzt hat. Jakob gibt nicht auf, gibt sich nicht geschlagen. Es ist kein Verlieren. Mit Gewinn will er aus diesem Kampf hervorgehen. Einen Segen will er für sich. Die Kraft, die sich jetzt noch gegen ihn wendet, will er zum Guten nutzen. Der Fremde kann sich nicht einfach aus dem Staub machen, sich nicht davon schleichen. Also bekommt Jakob etwas. Er bekommt einen neuen Namen: Israel. Die Kraft, die sich gegen ihn gewendet hat, wird fortan mit ihm sein.
Aus dem Gegner wird der Verbündete. Der Fremde kämpft für ihn, so könnte man den Namen „Israel“ verstehen. Und nun will Jakob doch endlich wissen, mit wem er es zu tun hat: „Sag mir deinen Namen.“ Doch der Fremde nennt seinen Namen nicht, bleibt weiterhin im Verborgenen. Aber er segnet Jakob. Jakob ist nicht der Gewinner und doch zieht er Gewinn aus dieser schwierigen Situation. Und er hat eine Ahnung, mit wem er zu kämpfen hatte, denn jetzt gibt er einen Namen. Er benennt den Ort: Pnuel – Angesicht Gottes. Jakob ist sich sicher: Er hat Gott gesehen und trotzdem überlebt. Wenn dann der Morgen kommt, ist er stärker geworden, trotz seiner Verletzung. Das Morgenlicht zeigt einen Gesegneten, der darauf vertrauen kann, dass Gott selbst seine Kraft für ihn einsetzt.
Prof. Dr. Andrea Klimt, Professorin für Praktische Theologie an der Theologischen Hochschule Elstal